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Stigmatisierung durch Schizophreniediagnose - und nun?

Warum die Stigmatisierung durch eine Schizophreniediagnose für viele Personen mit Psychoseerfahrung ein größeres Problem ist, als die Erkrankung selbst




Mad Camp - Ein Antistigma-Festival für psychisch erkrankte Menschen, Angehörige und Fachpersonen


Wie offen gehe ich mit meiner psychischen Erkrankung um? Spreche ich darüber mit Freunden und Familie? Oder auch mit meinen Bekannten, meinem zusammengewürfelten Netzwerk und womöglich auch mit meinen Kolleg*innen und Vorgesetzten?


Diese Fragen muss jede Person mit einer psychiatrischen Diagnose für sich selbst beantworten. Es gibt schließlich keine Patentrezepte für den Umgang mit hochgradig individuell unterschiedlichen Diagnosen. Ich selbst lebe seit nun zwanzig Jahren mit meinem »Tüdelüt«. So nenne ich meine Schizophrenie-Diagnose liebevoll. Denn dieser andere

Begriff, nennen wir ihn das »S-Wort«, weckt zahlreiche Vorurteile und schafft Angst in den Augen meiner Zuhörer*innen, wenn ich anfange, von meinen persönlichen Krisenerfahrungen zu berichten und sie als Schizophrenie zu bezeichnen.


Bei manchen Personen gehen gleich die Alarmglocken an und ich spüre die Unsicherheit und das Unwissen, das mit einem solchen Wort verbunden ist. Vor fünf Jahren habe ich ein Buch über meine Erfahrungen und meinen Umgang mit dieser »Tüdelüt-Diagnose« veröffentlicht und hatte nicht den Mut, offen mit meinem eigenen Namen für dieses Buch einzustehen. Ich habe zahlreiche Interviews in Talkshows und Magazinen gegeben und mein Gesicht dafür in die Kameras gehalten.


Meinen Namen wollte ich zu diesem Zeitpunkt aber für mich behalten. Daher habe ich seitdem einen Künstlernamen und nenne mich Cordt Winkler. Er hat keine tiefere Bedeutung. Ich trage einfach gern Cordhosen. Damals habe ich mich für diesen Namen entschieden, da ich geahnt oder befürchtet habe, dass Kolleg*innen in der Agentur, in der ich zu der Zeit tätig war, negativ reagieren könnten. Oder ein Shitstorm über mich hereinbricht, wenn ich etwas Dummes in einem Interview sage oder mein Buch von der Kritik zerrissen wird.


Nicht zuletzt habe ich mich für das Pseudonym entschieden, um mich zu schützen. Zudem war mir klar, dass ich bei einem künftigen Bewerbungsgespräch gegoogelt und unter Umständen auf diese »Tüdelüt-Diagnose« reduziert werden könnte.



Peer-Arbeit stärkt den selbstbewussten Umgang


Diese ganzen Befürchtungen haben sich nicht als real erwiesen. Es gab eher einen Candystorm als einen Shitstorm als Reaktion auf mein Buch. Die Kolleg*innen haben mein Buch interessiert gelesen - und wenn überhaupt lediglich hinter meinem Rücken getratscht. Ich habe Derartiges jedenfalls nicht mitbekommen.


Als es um eine nächste Bewerbung ging, habe ich einen sogenannten Psycho-Lebenslauf erstellt und versucht, mich von einer ungewohnten Seite zu präsentieren. Dazu habe ich sämtliche Fehlzeiten aufgrund von Krankheit und Krise, psychiatrische Krankenhausaufenthalte und Psychopharmaka-Kenntnisse sowie gesammelte Therapieerfahrungen, notiert und in chronologischer Form aufbereitet. Es war ein tolles Gefühl und eine große Erleichterung, all diese geheimen Dinge, die normalerweise nicht in einen Lebenslauf gehören, niederzuschreiben und sie als Stärke anzuerkennen. Meine psychischen Krisen wurden somit zu einem Erfahrungsschatz umgedeutet, den es zu bergen lohnt.


Beworben habe ich mich schließlich um einen Ausbildungsplatz für eine Experienced Involvement-Weiterbildung, um Genesungsbegleiter zu werden. Kurz gesagt: Ex-In. Im Rahmen dieser einjährigen berufsbegleitenden Weiterbildung habe ich durch die zahlreichen Erfahrungen der anderen Teilnehmenden, die allesamt ebenfalls psychische Krisenerfahrung mitgebracht hatten, meine Selbststigmatisierung nach und nach ablegen können.


Ich habe gelernt, offen mit der Erkrankung umzugehen, darüber selbstbewusst zu sprechen und Rechte für mich und andere einzufordern. In diesem Kontext spricht man auch von Empowerment. So unterschiedlich die Krisenerfahrungen der anderen Personen mit Borderline-Diagnose, bipolarer Erkrankung, wiederkehrenden Depressionen oder Suchterkrankung auch waren, war das Thema der Stigmatisierung eines, das uns alle geprägt und verbunden hat.


Gerade in Bezug auf die Erkrankung Schizophrenie herrschen viele Vorurteile und Klischees. Es gibt eine große Stigmatisierung durch eine Schizophreniediagnose in unserer Gesellschaft. In der medialen Darstellung von Gewaltverbrechen wird häufig gleich im Rahmen von Eilmeldungen auf die Diagnose eines Attentäters verwiesen. Was diese Art der Berichterstattung mit Angehörigen und Betroffenen macht, ist fatal, denn die Selbstabwertung steigt und steigt. Aber nicht nur die Selbststigmatisierung, sondern auch die Stigmatisierung von außen hat eine erschreckende Wirkung. Vor Kurzem schrieb mir eine Leserin:


»Ich finde am belastendsten, dass ich so gerne anderen sagen würde: Heute gehe ich zu meinem Psychiater, heute habe ich Therapie, heute bekomme ich meine Medikamente. Ich arbeite in einer 37-Stunden-Woche und nur meine engsten Freunde und Familie wissen von meiner Krankheit. Man kann ein normales Leben führen. Nur das Problem ist, sobald ich sagen würde, ich leide unter Schizophrenie, würde mich keiner mehr normal behandeln.«


Zwar gibt es zahlreiche Antistigma-Kampagnen, die wichtige Aufklärungsarbeit leisten. Auch die Woche der Seelischen Gesundheit und der Welttag der Schizophrenie am 24. Mai sind nicht mehr wegzudenken. Dies ist aber meines Erachtens nicht genug. Gerade, wenn Schizophrenie als ein biochemisches Ungleichgewicht im Gehirn erklärt

wird, steigt die Gefahr einer verstärkten Diskriminierung. Eigentlich ist der Erklärungsversuch gut gemeint, jedoch führt er zu einer fatalistischen Abwendung von Menschen, bei denen man das Gefühl hat, ihnen sowieso nicht helfen zu können, da die Erkrankung in Stein gemeißelt erscheint.



Viele Gründe für Hoffnung und Zuversicht in der Praxis


Nach meiner Ex-In-Weiterbildung hatte ich die Möglichkeit, als Genesungsbegleiter an der Berliner Charité tätig zu werden und mein negatives Bild auf psychiatrische Krankenhäuser zu hinterfragen. Zwar denke ich noch immer, dass solche Stationen in vielen Fällen keine Orte der Heilung sind und diese radikal verbessert werden müssen.


Ich habe aber auch zahlreiche mutmachende Beispiele erlebt und konnte an sogenannten Trialogveranstaltungen teilnehmen. Unter einer trialogischen Arbeitsweise versteht man den Einbezug von drei verschiedenen Expertengruppen. Expert*innen durch Ausbildung - wie Psychiater*innen, Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen; Expert*innen aus Angehörigenerfahrung sowie Expert*innen mit gelebter Krisenerfahrung. Anders ausgedrückt: Patient*innen kommen auf einer Ebene mit Angehörigen und Behandelnden zusammen, tauschen sich respektvoll miteinander aus, lassen die Perspektiven der jeweils anderen Personen für sich stehen und lernen bestenfalls neue Sichtweisen einzunehmen.


Meine Arbeit habe ich größtenteils in Form von Hausbesuchen geleistet. Personen, die in eine Krise geraten sind, wurden nicht stationär in eine Klinik aufgenommen, sondern in ihrem Wohnumfeld betreut, von einem multiprofessionellen Team, im Rahmen einer sogenannten

stationsäquivalenten Behandlung. Sie blieben in ihrem gewohnten Wohnumfeld und Lebensalltag. Auf diese Art konnte das Stigma der Behandlung in einer Psychiatrie gar nicht erst entstehen.


Weitere mutmachende Beispiele sind die sogenannten Recovery Colleges, die derzeit im deutschsprachigen Raum entstehen und ihr Vorbild in angelsächsischen Ländern haben. Patient*innen werden hier zu Studierenden und erfahren eine ganz andere Rolle, können sich gleichberechtigt weiterbilden in Seminaren, die auch von Peers, also Genesungsbegleiter*innen angeleitet werden.


Für weitere zuversichtlich stimmende Beispiele lohnt ein Blick in andere Communitys. Angelehnt an die LGBTIQ+ Bewegung ist die Mad Pride entstanden. Vergleichbar mit Paraden für queere Menschen, werden Personen, die mit Einschränkungen und verschiedenen Krisenerfahrungen leben, aktiv und setzen sich im Rahmen einer Parade für ihre Rechte ein. Und auch in der Wissenschaft sind in den vergangenen Jahren Konzepte wie Mad Studies entstanden, bei denen die Erfahrungsperspektive im Vordergrund steht.


Diese zahlreichen Beispiele, die viel Grund zu Hoffnung geben, können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gesamtgesellschaftliche Lage noch immer recht bescheiden ist. Es fehlt an Vorbildern oder role models, die mit einer Schizophreniediagnose an die Öffentlichkeit gehen. Mit Blick auf eine Erkrankung wie Depressionen hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel geändert und es gibt viele Prominente, die mit ihrem Namen, Stiftungen und zahlreichen Aktionen und Aufklärungsarbeit, für die Normalisierung von erkrankten Personen einstehen.


Gerade unter Psychiater*innen und anderen sozialpsychiatrischen Berufsgruppen ist das Stigma besonders groß. Die eigene Betroffenheit offen zu legen, erscheint besonders schwierig zu sein. Unter dem Motto »In Würde zu sich stehen« kommen verschiedene Menschen aus dieser Berufsgruppe zusammen, um sich über die Problematik auszutauschen.


»Wieso wird das Thema der eigenen Betroffenheit bei Profis

immer noch als Makel gesehen und nicht als Ressource gelebter Erfahrung gewürdigt? Sind Erfahrungen von eigener Erschütterung nicht etwas zutiefst Menschliches? Birgt nicht gerade die Geheimhaltung vielfältige negative Risiken, sowohl im Umgang mit sich selbst als auch im Umgang mit Klient*innen?«



Informeller Austausch in der Natur statt professioneller Distanz


Auch ist in ländlichen Regionen die Hürde des offenen Umgangs noch höher als in einer Stadt wie Berlin, in der es zahlreiche fortschrittliche Initiativen und Projekte gibt. Für mich persönlich ein Grund, ein Antistigma-Festival in Brandenburg anzusiedeln, mit zahlreichen Akteur*innen in einem trialogischen Austausch. Ich bin davon überzeugt, dass der beste Weg zur Veränderung aus der viel beschworenen Filterblase hinausführt. Daher trägt das Festival, das ich derzeit etabliere, auch einen ungewöhnlichen Namen und nutzt keine ressourcenorientierte Sprache im Titel.


Es handelt sich um das Mad Camp. In Anlehnung an Mad Pride

und Mad Studies nimmt der Begriff Mad Camp Bezug auf eine bewusste Aneignung eines vermeintlich negativ konnotierten Begriffs. Es geht darum, sich die Verrücktheit im Titel selbstbewusst anzueignen und an die Stärke des eigenen Erfahrungsschatzes zu erinnern.


Neben sozialpsychiatrischen Akteuren wie Ärzt*innen, Psycholog*innen, Sozialarbeitenden, Ergotherapeut*innen und Pflegekräften, verbringen im Rahmen eines verlängerten Mad-Camp-Wochenendes Personen mit gelebter Krisenerfahrung und Angehörige eine angenehme Zeit in der Natur, genau genommen in der Region Potsdam-Mittelmark am idyllischen Schwielowsee.


Neben dem bereits geschilderten theoretischen Überbau und vielen Gedanken zu Stigma und Stärke, steht der informelle Austausch im Vordergrund. Ganz entscheidend ist es, sich im Rahmen dieses Wochenendes in seiner Ganzheitlichkeit zeigen zu können, jenseits der Zuschreibung als Ärztin, Patient oder Angehörige. Also ein Ausbrechen aus allen Rollenerwartungen. Vergleichbar mit den sogenannten Break

Out Rooms in einem digitalen Meeting oder den Kaffee- und Zigarettenpausen rund um Konferenzen, sind diese Faktoren das eigentlich Entscheidende.


Hier entstehen die wirklich interessanten Gespräche, der spannende Austausch untereinander. Die professionelle Distanz, die Ärzt*innen und Psycholog*innen im Berufsalltag wahren müssen, wird im Rahmen dieses Wochenendes aufgeweicht. Aufgrund von Stigmatisierung sind viele Menschen mit gelebter Erfahrung nicht in der Mitte der Gesellschaft verortet. Schon allein aus diesem Grund erscheint es reizvoll, Räume symbolisch zu besetzen und auf die Herausforderungen von Menschen mit einer Schizophreniediagnose aufmerksam zu machen.


Sämtliche Beteiligte treffen sich auf Augenhöhe, beim Grillfest, einer Bootsfahrt oder beim ausgelassenen Tanzen zu Musik, für die man sich im ersten Moment schämen mag, die aber, genau wie diese Diagnose, niemandem peinlich sein muss. Humor und Leichtigkeit spielen eine wichtige Rolle, um einen lebensnahen Alltag mit den Herausforderungen

einer oftmals leidvollen Diagnose zu verbinden. Eingeladen sind Personen, die eine gewisse Neugier auf die jeweils andere Perspektive mitbringen, die wertschätzend und respektvoll im Rahmen des Mad Camps aufeinandertreffen.


Beim Schwielowsee handelt es sich zudem um einen idyllischen Ort in der Natur, jenseits von Hektik und Trubel, der Raum und Energie für Recovery und Erholung gibt. Neben naturnahen Erholungsmöglichkeiten, wie dem unweit gelegenen Japanischen Bonsaigarten, der eine Oase der Stille und Langsamkeit bietet, werden auch kreative Workshops angeboten, denn die Kraft von Outsider Art, von ergotherapeutischen Kunstasylen oder Living Museums, im Rahmen einer Transformation von krisenerfahrenen Menschen, ist unbestreitbar.


Spannend bei einem Mad Camp ist zudem die internationale Perspektive. Wie gehen Personen mit Krisenerfahrung in anderen europäischen Ländern vor und wie gestalten sie ihren Alltag? Gibt es Unterschiede und wo liegen die Gemeinsamkeiten und übergreifenden Herausforderungen?


Auch daher sind Personen, z. B. aus Österreich, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich, den Beneluxstaaten, dem Baltikum, Spanien und Frankreich herzlich eingeladen. Es hat schließlich noch nie geschadet, voneinander zu lernen. English speakers are welcome – und bei sämtlichen anderen Übersetzungen helfen uns Hände und Füße sicherlich weiter.


Falls eine Person überwältigt sein sollte von den Umständen oder aus sonstigen Gründen in eine Krise gerät, hilft auch an dieser Stelle das trialogische Prinzip. Mit einer gewissen Anzahl an Genesungsbegleitenden, Psycholog*innen, Sozialarbeitenden, Psychiater*innen und anderen Profis, wird gewährleistet, dass wir auch in solchen Fällen unkonventionelle Lösungen finden und uns gegenseitig auffangen.



Wie erreichen wir gesamtgesellschaftliche Inklusion?


Ein Kernstück des Mad Camps besteht im inhaltlichen Austausch in Form einer Podiumsdiskussion. Hier entsteht eine neue Form des Marktplatzes, eine zeitlich begrenzte Agora zum Überprüfen eigener Ideen undzum Anreichern anderer Perspektiven in das eigene Weltbild. Als Ort dient uns die Fercher Kulturscheune, in der bereits renommierte Autor*innen, wie Terézia Mora bis hin zu Gregor Gysi, Lesungen gehalten haben.


Die gesellschaftskritische Journalistin Julia Friedrichs, die durch Bücher wie »Working Class« und »Gestatten: Elite« bekannt geworden ist, stellt als Moderatorin Fragen ins Zentrum, wie Inklusion konkret möglich werden kann. Nach dem Mad Camp 2023 wird sie ebenfalls im neuen Jahr diese Rolle übernehmen. Vor allem geht es um ganz konkrete Ansätze, beispielsweise die Kraft von Sport, Natur und Kreativität, zu nutzen, um das gesellschaftliche Miteinander neu auszuhandeln.


Was nützt ein Mad Camp, wenn niemand davon erfährt? Neben Buchbeiträgen wie diesem kommen ausgewählte Wege zur Dokumentation zum Einsatz. Ein im Filmschnitt erfahrener Kameramann sowie eine geschätzte Porträtfotografin übernehmen die Dokumentation des Wochenendes zur anschließenden Aufbereitung in Social Media und bieten auch Medienvertretern und PR-Expertinnen auf diese Art ein gut sortiertes Material, um über das Mad Camp berichten zu können.


Die gemütlichen Bierbänke sowie das Partyzelt kamen beim vergangenen Festival im Übrigen von einem Verleih, der das Equipment zuvor an das lokale Wahlkreisbüro des amtierenden deutschen Bundeskanzlers verliehen hatte. Da es sich mit Potsdam-Mittelmark um den Wahlkreis der Außenministerin und des Kanzlers handelt, werden wir neben diesen beiden Politiker*innen auch den amtierenden Bundesgesundheitsminister sowie die gesundheitspolitischen Sprecher*innen der im Deutschen Bundestag vertretenen demokratischen Parteien zum Mad Camp einladen. Denn ein Austausch und eine anschließende gesellschaftliche Veränderung können nur gelingen, wenn die jeweiligen Expert*innen diesem Anliegen auch Gehör schenken. Hoffen wir auf zahlreiches Erscheinen.



Humor, Kunst und Kreativität als Ressourcen nutzen


Um frisch und gestärkt in den nächsten Tag zu starten, vor allem nach Abenden mit Musik und Tanz, bieten ergotherapeutisch geschulte Yogalehrer*innen einige aktivierende Impulse, um mit leichten Bewegungen ausgeruht in den neuen Tag zu starten. Beim vergangenen

Mad Camp gab es zudem eine Schüttelmeditation zu den Klängen des Italo-Klassikers »Felicita« von Albano und Romina Power sowie zellkraftfördernde musikalische Anstöße zum Mittanzen.


Einen besonders intimen Moment konnten wir beim letzten Mad Camp durch die Partie eines ressourcenorientierten Serious Games erleben. Der Mindsetter, der von der in Amsterdam lebenden Ergotherapeutin Gesa Döringer entwickelt wurde, ist perfekt für Menschen mit

Krisenerfahrungen geeignet und fördert einen offenen Umgang mit eigenen Schwächen, aber auch Ressourcen und Stärken und weist neue Wege zu einem anderen Miteinander.


Als Autor und Schreibtrainer ist es mir ein Anliegen, ebenfalls die Kraft des Gesundheitsfördernden Kreativen Schreibens in dieses Wochenende einfließen zu lassen. Botanische Schreibimpulse in der Natur liefern dabei eine Möglichkeit, mit einfachen Mitteln in kreative Prozesse zu kommen, auch und besonders für Menschen, die keinerlei positiv assoziierte Schreiberfahrungen haben oder es bislang nicht als

Ressource nutzen. Der nächste logische Schritt, erste Erfahrungen mit heilsamem Waldbaden zu sammeln, erscheint danach intuitiv richtig.


Ferch am Schwielowsee hat eine reiche kulturelle Geschichte und war bereits vor gut 100 Jahren eine Malerkolonie. Die Kunsthistorikerin und Stadtführerin Andrea Pätzold bietet eine belesene Einordnung und steht mit umfangreichem Wissen bei Rückfragen bereit, um über Orte wie das lokale Havelländische Museum zu informieren.


Ein Höhepunkt bietet die abendliche Bootstour, mit der aus der Inselstadt Werder gecharterten »MS Bismarckhöhe«, einem Schiff, das Platz für alle Gäste bietet und zum Verweilen während des Sonnenuntergangs über dem Schwielowsee einlädt.


Der Begriff Mad Camp weist schon auf die Art der Übernachtung hin, denn rund um ein Sommerhausgrundstück kann gezeltet werden. Wer etwas mehr Komfort oder Rückzugsmöglichkeit wünscht, findet mit einem kleinen Apartment in Seenähe ebenfalls die benötigte Infrastruktur.


Ein weiteres Highlight im vergangenen Jahr, war die bunte demografische Mischung der Gäste. Die kleinste Teilnehmerin war zwei Jahre alt. Gemeinsam mit jüngeren Menschen zu schauen, was aus ihrer Perspektive niedrigschwellig und ohne Verwendung von Fachbegriffen auf eine nahbare Art ein solches Festival gelingen lässt, war sehr berührend.


Gerade die jungen Gäste hatten ein klares Gespür für atmosphärische Besonderheiten und brachten eine hohe Wertschätzung für die kleinen gestalterischen Details wie die Dekoration, bestehend aus riesigen pinken Flamingos rund um die Agora, Papageien und Kakadus auf dem Dancefloor sowie den zahlreichen Lampions in Fliegenpilzoptik, entgegen.


Sehr willkommen ist zudem das Einbringen eigener Impulse. Eine Teilnehmerin mit gelebter Erfahrung hat Sternkarten mitgebracht, um uns an den Blick nach oben zu erinnern und die Relationen mithilfe der kosmischen Weite des Universums neu einzuordnen. Auch Kohlestifte zum Zeichnen eigener Bilder kamen zum Einsatz.



Eine andere Sichtweise für BEM-Berater*innen


Was ist also das Ziel des Mad Camps? In erster Linie so weit zu kommen, dass Antistigma-Festivals wie dieses überflüssig werden. Durch das Etablieren eines gesellschaftlichen Diskurses, der eine neue Selbstverständlichkeit im Umgang mit Menschen mit psychiatrischen Diagnosen in unser alltägliches Miteinander einbringt, kann es gelingen.


Auch wissenschaftliche Tagungen können angereichert werden durch das symbolische Besetzen und Aneignen anderer Räume und das Einbringen kreativer Elemente in den jeweiligen Prozess. Ich bin vor vielen Jahren auf einer Italienreise in eine Psychose abgerutscht und es war eine mühsame Erfahrung für mein Umfeld, sich zu einem helfenden Suchtrupp zusammenzufinden. Ein Netzwerk oder eine Community von Menschen, die sich gegenseitig unterstützen und wertschätzend austauschen, erscheint mir nicht zuletzt aus diesem Grund äußerst sinnvoll.


Die systemische Perspektive, also der Blick auf unsere Handlungen und Worte, ist auch deshalb so wichtig, da bewährte Methoden wie der Offene Dialog in der Behandlung bereits gezeigt haben, dass nicht nur der einseitige Fokus auf der Einnahme von antipsychotischen Medikamenten und der Erforschung des Gehirns durch Bildgebungsverfahren wichtig ist.


In erster Linie ist unser Umgang miteinander heilsam oder

aber krankmachend. Neben dem Institut für Arbeitsfähigkeit sind daher zahlreiche Netzwerkpartner von Recovery Colleges und Stiftungen bis zu international tätigen NGOs eingeladen. Statt von einem Ungleichgewicht an Botenstoffen im Hirn oder einer unheilbaren Perspektive und chronischen Verläufen zu sprechen, sollten wir auf fassbare Lösungen schauen und diese gemeinsam suchen. Auch und gerade in der alltäglichen Arbeit als BEM-Berater*in kann diese Sichtweise hilfreich sein.


Dieser Artikel stammt aus der Publikation "Psychische Gesundheit im Arbeitsleben - Professionelle und digitale Unterstützung im Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM)", herausgegeben von Marianne Giesert, Tobias Reuter und Anja Liebrich.

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