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Open Dialogue - Die Kraft der Sprache in psychotischen Krisen

Wie Angehörige Menschen mit einer Schizophreniediagnose durch Methoden des Open Dialogue unterstützen können


Worte können heilen, sie haben eine große Macht. Umgekehrt kann uns eine bestimmte Art und Weise zu kommunizieren krank machen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Verletzende Sprache zu wählen oder es gewohnt zu sein, Worte zu wählen, die alles andere als selbstfürsorglich sind, ist ein Zeichen dafür. Umgekehrt kann das Niederschreiben von Gedanken, wie in einem Tagebuch oder Journal, als ein wertvolles Mittel zur Reflexion dienen. Ich persönlich nutze es regelmäßig auch dazu, um zu begreifen, was in mir vor sich geht und was ich fühle.


Nicht zuletzt das Schreiben meines autobiografischen Buches in Form eines Erfahrungsberichtes unter dem Titel: „ICH ist manchmal ein anderer. Mein Leben mit Schizophrenie“ war ein Weg, um zur Sprache zu finden. Als Buchautor habe ich die Erfahrung gemacht, dass soziale und systemische Faktoren, also der Austausch mit anderen Menschen, eine große Rolle spielen.


Viele Menschen mit Psychoseerfahrung haben allerdings kein funktionierendes Umfeld. Das ist nicht selten Resultat schwieriger und herausfordernder Lebensumstände. Einen Freundes- und Bekanntenkreis nachträglich aufzubauen ist ebenfalls möglich, aber in der Regel nicht so einfach. Die Selbsthilfe ist dabei eine Möglichkeit. Hobbys wie zum Beispiel kreative Tätigkeiten, die man gern unternimmt oder alle Beschäftigungen unter der Rubrik Sport ebenfalls.





In meinen Videos auf YouTube erwähne ich immer wieder die Bedeutung des sogenannten Offenen Dialogs. Dabei handelt es sich um einen Ansatz aus Finnland, dessen Wirksamkeit mit Studien, vor allem aus Lappland, wissenschaftlich sehr gut belegt ist. Ich selbst kenne die Methoden in der Theorie aus meiner Ex-In-Weiterbildung zum Genesungsbegleiter. Den praktischen Anteil wiederum habe ich an der Berliner Charité immer wieder mit unterschiedlichen Patient:innen erprobt. Zwar habe ich selbst keine reguläre Open-Dialogue-Ausbildung finanziert bekommen, dennoch habe ich mehrere Jahre in der Praxis gearbeitet, gemeinsam mit in diesem Bereich geschulten Fachpersonen.


Ohne allzu sehr in die Tiefe zu gehen, lässt sich festhalten, dass die Methoden des Offenen Dialogs sich dadurch auszeichnen, dass das soziale Umfeld, die zugehörigen Freund:innen und die Angehörigen aus dem Familiensystem mit ins Boot geholt werden. Der Ansatz zeichnet sich also durch Gespräche aus und in vielen Fällen gerade nicht in erster Linie durch eine Einnahme von Psychopharmaka.


Ich selbst habe erlebt, dass diese Ansätze in Deutschland und vielen anderen Regionen der Welt nicht flächendeckend umgesetzt werden, wenn sie denn überhaupt bekannt sind. Zudem ist es herausfordernd und gar nicht so einfach, die vielfältigen Techniken und Grundsätze des Open Dialogue eins zu eins im deutschen Gesundheitssystem umzusetzen. Aber was lässt sich konkret unter diesen Methoden vorstellen?



Nicht über, sondern mit Patient:innen sprechen


Eine wichtige Grundhaltung ist das Motto, nicht über Patient:innen, sondern mit ihnen zu sprechen. Die Methode des Patient:innenohrs kann in einem Team angewandt werden, sodass eine Fachperson die Rolle übernimmt, auf wertschätzende Sprache zu achten. Würden die Psychiater:innen und Psycholog:innen die gleichen Worte wählen, wenn die jeweilige Patientin im Raum wäre? Oder mischt sich in die Wortwahl ein Unterton, der nicht respektvoll und wertschätzend klingt?


Eine andere Technik ist das Anfertigen einer Netzwerkkarte, bei der eine Person die Aufgabe bekommt, ihr gesamtes soziales Umfeld, in verschiedene Kategorien aufgeteilt, aufzulisten. Auf diese Art wird Patient:innen bewusst, welche Personen eine Rolle in ihrem Leben spielen, vom familiären Umfeld über den Freundes- und Bekanntenkreis zu Nachbarn und Kolleg:innen bis zu den psychiatrischen Fachpersonen. Auf dieser Grundlage kann entschieden werden, welche Personen bei einem sogenannten Netzwerkgespräch dabei sein sollen.


Ich persönlich habe in der aufsuchenden Arbeit, der sogenannten StäB gearbeitet. Anders ausgedrückt der stationsäquivalenten Behandlung oder dem Home Treatment, bei dem Menschen während einer Krise zu Hause in ihrer Wohnung besucht werden, ohne dass sie in die Klinik gehen müssen. Dabei hatte ich oftmals die Rolle übernommen, ein solches Netzwerkgespräch zu moderieren, bei dem neben der erkrankten Person auch die von ihr gewünschten Menschen aus dem näheren Umfeld dabei sind, genau wie die jeweiligen Berufsgruppen aus dem sozialpsychiatrischen System.



Die heilsame Kraft von Kommunikation und Sprache


Diese Methoden setzen alle auf die Bedeutung von Sprache und Kommunikation sowie den Austausch mit den Menschen aus dem sozialen Umfeld. Das ist insofern ein großer Unterschied zur herkömmlichen und in vielen Ländern der Welt verbreitetsten Form der psychiatrischen Behandlung.


Ich meine damit die Vorstellung, das beispielsweise bei einer Psychose ein Ungleichgewicht von Botenstoffen eine Rolle spielt, das durch die Einnahme von Neuroleptika behoben wird. Das Mittel der Wahl einer solchen biochemischen Vorstellung wäre die Einnahme von Medikamenten. In der Praxis haben diese Psychopharmaka leider eine ganze Reihe von unerwünschten Nebenwirkungen.


Die Vorstellung, dass es gewisse genetische Faktoren gibt, die eine Rolle bei einer Erkrankung wie Schizophrenie spielen, ist unbestritten. Den einzigen Fokus allerdings auf Botenstoffe und das besagte Ungleichgewicht im Gehirn zu legen, sodass eine Reparatur von neuronalen Schaltkreisen im Fokus steht, führt zu ganz anderen Therapieformen, als sie beispielsweise die Methoden des Offenen Dialogs oder einer klassischen Psychotherapie liefern.


Ich möchte mir nicht anmaßen, zu bewerten, dass die eine Sichtweise richtig und die andere grundlegend falsch sei. Im Gegenteil halte ich es für sehr sinnvoll, verschiedene Perspektiven zu kennen und somit immer wieder eine andere Möglichkeit der Behandlung in Betracht zu ziehen. Die Gefahr, die ich allerdings bei einem blinden Vertrauen auf eine Präzisionstherapie oder auf sehr teure Methoden zur Erforschung von Bildgebungsverfahren sehe, die noch lange nicht ausgereift sind, ist, dass wir in der Zwischenzeit im Hier und jetzt darüber die erkrankten Menschen vergessen. Wir brauchen schließlich jetzt sofort annehmbare Lösungen für eine große Anzahl von Personen.


Diese Denkweise lässt mich neben den genetischen Faktoren, die ich selbst nun einmal nicht ändern kann, auf die sogenannten Lifestyle-Faktoren zurückgreifen. Damit meine ich, all die Dinge in den Fokus zu rücken, die in irgendeiner Art und Weise steuerbar sind und sich bestenfalls verändern lassen.


Routinen:

Gibt es schädliche Routinen in meinem Leben und wenn ja, kann ich mehr gesundheitsförderndes Verhalten hinzufügen? Wovon möchte ich mehr machen und was womöglich weniger häufig tun?


Das soziale Umfeld:

Wer steht mir nah und unterstützt mich? Das Vernetzen von Vertrauenspersonen kann sinnvoll sein für künftige mögliche Krisenfälle und das Vorbeugen ebendieser.


Ernährung:

Aus der Forschung von Menschen mit Depressionen ist bekannt, wie wirksam es ist, die körperliche Wirkung auf die Psyche zu beachten. In der Praxis ist es oft schwierig aus diesem Kreislauf herauszufinden, unter Medikation, die Heißhunger auslöst. Die Ernährungspsychiatrie ist ein weiterer Begriff, den man sich in diesem Zusammenhang merken sollte.


Bewegung:

Es muss nicht gleich Hochleistungssport sein. Spaziergänge sind ein guter Start, im Winter vor allem bei Tageslicht.


Schlaf:

Ausreichender Schlaf ist für die Regeneration überaus wichtig und mangelnder Schlaf für viele Menschen ein klares Frühwarnzeichen für den Beginn einer Krise.


Hobbies:

Viele Dinge, die nicht auf den ersten Blick therapeutisch wirken, haben eine heilsame Wirkung. In meinem Beispiel habe ich während meiner Psychiatrieaufenthalte das Gärtnern und Kochen sehr hilfreich empfunden.


Ergotherapie und Kunsttherapie:

Die Living Museums sind ein schönes Beispiel für eine Transformation eines Patienten zum Künstler. Der Fokus liegt dabei auf einer einzigen Sache; etwas zu erschaffen, sich anders und selbstwirksam wahrzunehmen. So entsteht eine neue Identität als Künstlerin oder Mensch mit kreativen Fähigkeiten. Dies ist so hilfreich, da während einer Krise oftmals eine Reduktion auf die Diagnose stattfindet und viele andere Facetten einer Person aus dem Fokus geraten.


Psychotherapie:

Bei der kognitiven Verhaltenstherapie ist seit vielen Jahren wissenschaftlich belegt, dass sie für Menschen mit Psychosen eine sehr gute Wirksamkeit besitzt. Ich persönlich habe gute Erfahrungen mit einer speziellen Psychosentherapie gemacht, die vom Dachverband Deutscher Psychosenpsychotherapie DDPP ins Leben gerufen worden ist.

Arbeit und Struktur:

Niemand sollte das Gefühl haben, in einer Krise arbeiten zu müssen. Erst einmal steht sowieso die Genesung im Vordergrund. Hoffentlich zumindest. Der Austausch und die gesellschaftlichen Beziehungen im Rahmen des Berufsalltags spielen genauso eine Rolle, wie die Möglichkeit, sich als selbstwirksam zu erleben und etwas zu erreichen, was eventuell sogar sinnstiftend oder bedeutungsvoll ist.


Miteinander und Inklusion:

Nicht zuletzt spielt es eine entscheidende und oftmals heilsame Rolle, sich in gesellschaftliche Debatten und Prozesse einzubringen, aktiv zu werden und den Austausch mit dem eigenen Umfeld zu gestalten, für andere da zu sein und Resonanz zu erleben.



Was tun gegen Stigma und Selbststigmatisierung?


An dieser Stelle klaffen Theorie und Praxis leider weit auseinander, denn ich persönlich erlebe das gesellschaftliche Miteinander und die sozialen Beziehungen oftmals nicht so wie gewünscht und gerade beschrieben. Im Gegenteil bedeutet die Diagnose Schizophrenie für viele Menschen auch noch eine zweite Krankheit. Ich spreche von Stigmatisierung, die von manchen Personen gar als schlimmer als die eigentlichen Symptome der Erkrankung und deren Folgen wie Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie beschrieben werden. Die verinnerlichte Scham und Selbstabwertung führen zur Selbststigmatisierung, einer selbsterfüllenden Prophezeihung, bei der man sich abwertet, da bestimmte Gedanken und Erwartungen internalisiert wurden.


Mein ganz persönlicher bescheidener Ansatz, um hier anzusetzen und etwas zu verändern, ist ein Festival zur Entstigmatisierung. Ich spreche vom sogenannten Mad Camp, das im Sommer 2024 in Brandenburg stattfindet. Verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle:


  • Die heilende Kraft der Natur durch Achtsamkeit und Entschleunigung.

  • Kunst und Kultur, sich in andere Rollen zu begeben und sich somit mit anderen Facetten wahrzunehmen, anstatt eine Reduzierung auf die eigene Diagnose zu erleben.

  • Eine grundlegend trialogische Vorgehensweise, um unterschiedliche Sichtweisen zu reflektieren, die dabei helfen, den eigenen Horizont zu erweitern.

  • Professionelle Nähe statt professioneller Distanz durch psychiatrisches Fachpersonal. Denn selbst Psychiater sind Menschen, und sie als solche wahrzunehmen und Empathie zu spüren, kann viel bewirken.

  • Eine informelle Struktur spielt eine besondere Rolle, die nicht auf den ersten Blick therapeutisch wirkt.

  • Das gemeinsame Miteinander im Austausch in sozialen Interaktionen sorgt zudem dafür, dass man Resonanz erfährt.

  • Und last but not least sind es die vielen nicht-therapeutischen Interventionen, also kein funktionales kurzfristiges und spezifisches Ziel zu verfolgen, sondern Vertrauen entstehen zu lassen und ein Einlassen auf ein gesellschaftliches Experiment mit hoffentlich wirkmächtigem Ausgang.


Dieser Artikel wurde zuerst im Magazin Facts & Stories der Mad Artists, Ausgabe 14 veröffentlicht.



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